Eine theoretische Arbeit und Analyse über die Relevanz, die Einflüsse und die Akzeptanz immersiver virtueller Räume in der Innenarchitektur.
Das Eintauchen und sich an einem anderen Ort präsent zu fühlen ist eine der Kernintensionen von immersiven Projektionen. Dabei werden bewusst Grenzen zwischen dem Realraum und dem Bildraum vermischt. Besucher nehmen die virtuelle Realität als Realität wahr; je panoramahaft-umfänglicher, desto erfolgreicher. Im Ideal werden die immersiven Bilder zu realen Erlebnissen.
Immersive Projektionen und virtuelle Realitäten sprechen vorwiegend die visuellen, akustischen und haptischen Sinne des Menschen an. Da der Mensch als „visuelle Kreatur“ in einer visuell geprägten Welt lebt, ist die Akzeptanz der Immersion generell hoch und wird durch akustische Stimulation unterstützt. Bewegungen und haptische Elemente, die Einfluss auf das immersive Erlebnis haben, steigern die menschliche Wahrnehmung und Akzeptanz der virtuellen Realität zusätzlich.
Archtetypen Immersiver Räume
Die Parameter der architekturbezogenen dramaturgischen Raumoptionen stellen eine komplexe Mischung aus objektiven und subjektiven Aspekten dar. Die objektiv real existierenden Archetypen, wie sie beispielsweise von Kleine (2018) in der klassischen Raumdramaturgie beschrieben werden, sind primär über ihre physischen Raumbegrenzungen und deren Anordnung definiert. Konzepte wie Monodramen, Alternierungsdramen, Entwicklungsdramen und Komplementärdramen basieren auf der Analyse der räumlichen Konfiguration und der daraus resultierenden Bewegung und Interaktion der Nutzer im Raum.
Die immersive Bespielung von Räumen und Gebäuden eröffnet jedoch völlig neue dramaturgische Möglichkeiten, die über die klassischen Archetypen hinausgehen. Sie generiert einen eigenständigen Archetypus der Raumdramaturgie, den ich als „Substitutionsdrama“ bezeichne. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, dass die realen physischen und atmosphärischen Attribute der Raumdramaturgie durch virtuelle, substituierbare Attribute der Immersion überlagert, verändert oder gar ersetzt werden können. Im Substitutionsdrama verschmelzen Realität und Virtualität zu einem hybriden Raum, in dem die Grenzen der physischen Architektur flexibel und dynamisch neu definiert werden.
Im Substitutionsdrama können Raumfolgen virtuell variiert, Raum-Entwicklungen am selben Standort verändert und Atmosphären durch digitale Projektionen, Klanginstallationen oder interaktive Elemente transformiert werden. Ein statischer Raum kann sich so in eine dynamische, narrative Umgebung verwandeln, die den Betrachter in eine Geschichte eintauchen lässt. Die Möglichkeiten der Substitution reichen von subtilen Veränderungen der Lichtstimmung bis hin zur vollständigen Transformation der räumlichen Gestalt.
Typologie
Die Typologie immersiver Außenräume, insbesondere jener, die sich durch die Bespielung von Wänden und Fassaden auszeichnen, weist spezifische Merkmale auf, die eine differenzierte Betrachtung erfordern. Ein Großteil dieser immersiven Inszenierungen nutzt Lichtprojektionen auf die Oberflächen von Gebäuden, wobei sowohl sakrale als auch profane Bauten als Projektionsflächen dienen. Die architektonische Struktur der Fassade, ihre Textur und ihre Gliederung spielen dabei eine entscheidende Rolle für die Wirkung der projizierten Inhalte. Die Verwendung von einem oder mehreren lichtstarken Projektoren ermöglicht die Transformation der statischen Architektur in dynamische, narrative Räume.
Die Typologie halboffener Räume mit immersiven Wänden bildet eine interessante Schnittstelle zwischen Innen- und Außenraum und weist spezifische Merkmale auf, die sie von den zuvor beschriebenen Typologien unterscheiden. Diese Räume zeichnen sich durch eine gewisse Durchlässigkeit und Verbindung zur Umgebung aus, während gleichzeitig definierte Begrenzungen durch Wände oder andere architektonische Elemente vorhanden sind. Diese Begrenzungen werden dann für immersive Projektionen genutzt. Typische Beispiele hierfür sind überdachte Innenhöfe, Arkaden, Loggien, oder auch temporäre Installationen unter Zeltdächern oder Pavillons.
Die Typologie von Außenräumen mit immersiven Wänden und Böden stellt eine Erweiterung der bisher betrachteten Kategorien dar und eröffnet neue Möglichkeiten für immersive Erlebnisse. Diese Räume zeichnen sich dadurch aus, dass nicht nur die vertikalen Flächen, sondern auch der Boden aktiv in die Inszenierung einbezogen wird. Dies ermöglicht eine noch stärkere Integration des Betrachters in das virtuelle Geschehen und verstärkt das Gefühl des vollständigen Eintauchens. Typische Beispiele hierfür sind urbane Plätze, temporäre Installationen auf Freiflächen oder auch speziell gestaltete Areale in Parks oder Gärten.
Die Typologie von Innenräumen mit immersiven Wänden und Böden stellt eine besonders intensive Form der Immersion dar, da hier die Kontrolle über die Umgebung maximal ist. Im Gegensatz zu Außen- oder halboffenen Räumen sind Innenräume weitgehend von externen Einflüssen isoliert, was eine präzisere Steuerung der Sinnesreize ermöglicht. Die Einbeziehung von Wänden und Böden in die immersive Gestaltung erzeugt ein umfassendes Raumerlebnis, das den Betrachter vollständig in die virtuelle Welt eintauchen lässt. Typische Beispiele hierfür sind Museen, Ausstellungen, Showrooms, Planetarien oder speziell konzipierte immersive Studios.
Die Typologie von Innenräumen mit voller Immersion, also mit immersiven Wänden, Decken und Böden, stellt die höchste Stufe der Immersion dar und ermöglicht ein unvergleichlich intensives Eintauchen in virtuelle Welten. Hier wird der gesamte umschlossene Raum zur Projektionsfläche, wodurch der Betrachter vollständig von der realen Umgebung abgekoppelt wird. Diese Art von immersiven Räumen wird oft als „Cave Automatic Virtual Environment“ (CAVE) oder „Full-Dome“-Umgebung bezeichnet und findet Anwendung in Bereichen wie Wissenschaft, Forschung, Simulation, Entertainment und Kunst.
Philosophische Einordnung
Virtuelle Realität und immersive Projektionen werden durchaus kritisch betrachtet und kontrovers diskutiert. Es heißt regelmäßig, „die gezeigten Szenen und Objekte sind keine Originale“ sondern Kopien und als solche ist die Qualität des dargestellten und der Kunst weniger wertig als das vermeidliche Original des Künstlers im klassischen Museum oder einer Ausstellung. Dass es sich bei dem immersiv Gezeigten um Abbilder handelt, ist natürlich vollkommen richtig, aber ist dieser Umstand eine Schmälerung der Qualität in der Kunst? Betrachtet man eine immersive Projektion aus der Perspektive der Philosophen so finden sich in einigen Theorien Ansätze, in welchen die Relevanz und die Beziehung von Originalen und Kopien (Abbilder) behandelt werden. Platon (427-347 v. Chr.) beschreibt in seinem Werk Politeia das berühmte Höhlengleichnis. In diesem werden Gefangene in einer Höhle gefesselt und mit den Köpfen so fixiert, dass sie nur in eine Richtung auf eine Wand schauen können. Hinter den Gefangenen bewegen sich Menschen und Objekte, doch die Gefangenen sehen nur die Schatten auf den Wänden und halten diese irrtümlich für die wirklichen Dinge. Platons Ideenlehre soll uns bewusst machen, dass die Wirklichkeit eine „erscheinende Wirklichkeit ist, was wir sehen, sind „schattenhafte Abbilder einer höheren Wirklichkeit“.
In der modernen philosophischen Analyse werden Bilder nicht mehr als Abbilder der Originale verstanden, sondern als „unhintergehbare Erscheinung eines Wirklichen“ (Schweppenhäuser) betrachtet. Bilder sind Produkte, die Erinnerungen von Vergangenem, Erkenntnisse von Gegenwärtigem oder Ideen über die Zukunft auslösen können. Die Art der Wahrnehmung nimmt an Bedeutung zu. Der Philosoph Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) ist der Ansicht, dass es eine Abhängigkeit zwischen der leiblichen Ebene der Wahrnehmung und der sinneswesenhaften Wahrnehmung gibt. Maurice Merleau-Ponty würde immersive Projektionen wahrscheinlich als eine spannende Erweiterung der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit ansehen, die neue Möglichkeiten eröffnen.
Immersion Score
Die kreativen Ansätze und Ideen in der Gestaltung eines immersiven Erlebnisraumes sind groß. Da der Einsatz der Technik heute immer weniger ein limitierender Faktor ist, sind den Kreativen kaum mehr Grenzen gegeben um die realitätsnahen oder auch fantasievoll frei erfundenen Szenen umsetzten zu können. Zudem sind die immersiven Inszenierungen in ihren Inhalten so unterschiedlich, dass ein direkter Vergleich und Bewertung schwer möglich sind.
Die subjektiven Eindrücke der immersiven Inszenierung und Wahrnehmung wie Atmosphäre und Dramaturgie der Raumgestaltung können auf eine Ebene der Vergleichbarkeit gesetzt werden, wenn bei den Eindrücken unmittelbar im Rahmen eines festen Fragebogens und Analyse Schemas dokumentiert werden.
Basierend auf den Fragen des IGroup Presence Questionnaires und deren 7-stufigem Bewertungsskala habe ich den Immersion Score entwickelt. Der Score fasst die vier Untersuchungsfelder des IPQ in den Kategorien Realitätsnähe, Immersion, Präsenz und Virtual Reality Level zusammen anhand einer Skala (0-100%) zusammen. Je größer der Prozentwert des Scores ist, desto stärker und überzeugender ist die immersive Wirkung der bewerteten Umgebung in der Gesamtheit der vier Bewertungskategorien.
Für jeden Besuch einer immersiven Umgebung im Rahmen der Recherche habe ich den Immersion Score ermittelt und in die Zusammenfassungen der Raumanalysen auf den folgenden Seiten eingebunden. Der Immersion Score ist so eine zusätzliche Orientierung im Rahmen Analyse und Einordung der Erfolgskriterien für immersive Raumgestaltungen. Die besuchten 15 Ausstellungen und Präsentationen in Museen haben jeweils mit einem immersiven Erlebnisversprechen auf sich aufmerksam gemacht. Anhand des Immersion Score konnte ich ein Ranking erstellen und so die überzeugenderen immersiven Erlebnisse von den weniger überzeugenden unterscheiden. An Position 1 ist das wirklich vollkommen immersive Erlebnis der Achterbahnfahrt im Alpen-Express im Europapark. Obwohl die VR-Brille das visuelle Erlebnis erst möglich gemacht hat, ist hier das Zusammenspiel von visuellem Ablauf der Fahrt mit dem präzise abgestimmten tatsächlichen Bewegungsablauf der Bahn zu einer Kombination zusammengeführt geworden, die Präsenz und Authentizität in der Wahrnehmung erzeugen konnte.
Ein gänzlich andersartiges Empfinden der Immersion brachte das Festival of Light in Brixen in der Lichtprojektion auf dem Domplatz. Hier stachen insbesondere die exzellente audio-visuelle Abstimmung der Projektionen mit der Musik überzeugend hervor. Die erlebten Immersionen im Now Building überzeugen durch die Integration der projizierten Bilder über die Decke des Raumes. So kann eine unendliche Weite suggeriert werden, die gut in die immersiven Projektionen eingebunden sind. Besondere Features in der immersiven Präsentation hatten die Dinner-Show Le Petit Chef über die Projektionen auf den Tischen und auch die immersive Ausstellung Frameless, über die interaktiven Elemente, die dem Besucher ebenfalls in der Präsenz-Empfindung unterstützt haben.
Transformation Schule
Die Möglichkeiten einer immersiven Raumgestaltung lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen. In vielen Schulen wird der Unterricht, unabhängig vom Alter der Schüler, nach wie vor mit klassischen Methoden gestaltet: Frontalunterricht mit Hefteinträgen der Tafelbilder, begleitet von Arbeitsblättern oder kurzen Gruppeneinheiten. Eine Adaption von immersiven Elementen kann die Modernisierung der Lehre und Lernmethoden entscheidend voranbringen. Als Fallbeispiel dient die Walter-Gropius-Schule (WGS) im Süden Berlins, im Zentrum des Bezirks Gropiusstadt. Walter-Gropius entwarf die Schule mit fünf Pavillons und wabenförmigen Klassenzimmern, die jeweils um einen Gemeinschaftsraum angeordnet sind. Die dreigeschossigen sternartigen Bauten sind in nüchternem Sichtbeton errichtet und stehen inzwischen unter Denkmalschutz. Der Grundriss der Klassenräume ist wabenförmig mit einer rechteckigen Erweiterung im hinteren Teil. Schon im Entwurfskonzept war vorgesehen, dass der Unterricht ohne festem Klassenverband und mit offenen Lernformen gestaltet werden kann. Für den Einsatz der immersiven Darstellungstechniken bieten sich die vorderen drei Wände an. Die Projektionen können den Raum virtuell in eine Breitbild-Wand vergrößern und so ein neues Raumgefühl erzeugen. Die Projektoren werden an der Decke montiert und auf die drei Wände ausgerichtet. Zusätzlich sind senkrechte Projektoren in der Decke verbaut, die sowohl auf Tischen als auch dem Boden ein Bild projizieren können und so dem immersiven Raumgefühl mehr Gewicht geben können.
Immersives Schullabor – Entwurf
Das Labor für immersive Experimente und Projektarbeiten steht den Schülern als Portal für die zukünftige interaktive Form des Lernens. Eine Rahmenkonstruktion aus Aluminium-Streben bildet das äußere Tragwerk des Labors. Das Dreieck, das Hexagon (Sechseck) sowie das Dodekagon (Zwölfeck) sind im architektonischen Entwurf von Walter Gropius fester Bestandteil. Im Entwurf des Labors fügen sich die Polygone zu einem Kreis, der oben und unten abgeflacht ist. Aus dem konvexen Polygon bricht der Kubus des Foyers heraus.
Das Innere des Labors präsentiert sich als substitutiver Raum für immersive Präsentationen. Die polygone Außenhülle ist innen mit einer sphärischen Panorama-Leinwand bespannt. Decke und Boden sind ebenfalls als Projektionsflächen einsetzbar. So bietet das Labor eine voll-immersive Kulisse für die Experimente der Schüler und Lehrer. Im Foyer sind parallel zu den Wänden die Medientechnik positioniert. Ihr gegenüber sind Arbeitsplätze für die Vor- und Ausarbeitungen der immersiven Projektarbeiten.